Retromöbel, gestickte Bilder an der Wand und Kuchen backende Omas: Das Café Vollpension in Wien-Wieden spielt augenzwinkernd mit Klischees und hat damit offenbar den Zeitgeist getroffen. Es ist früher Abend, und die Tische im Souterrain-Lokal in der Schleifmühlgasse sind alle besetzt, vornehmlich mit jungen Leuten. Passend zum Ambiente sind hier 17 von insgesamt 30 Mitarbeitern Pensionisten. Und das in einer Zeit, in der selbst Mittvierziger nur noch schwer Arbeit finden.
Eine der werktätigen Rentnerinnen ist Christine. „Die Pension habe ich genau drei Wochen lang genossen. Aber dann wurde mir langweilig, ich brauche einfach den Kick“, erzählt sie. Seit September des vorigen Jahres arbeitet die ehemalige Kellnerin zwei Tage die Woche in dem Lokal in der Schleifmühlgasse. Die rüstige Wienerin ist in dem Social Business genauso wie die anderen Rentner geringfügig angestellt. Die jüngste Mitarbeiterin ist übrigens 19, die älteste 75. Die 15 Omas und zwei Opas, wie die älteren Mitarbeiter liebevoll genannt werden, backen Kuchen nach ihren eigenen Rezepten, helfen in der Küche oder servieren das Essen.
„Christine ist ein Paradebeispiel. Sie ist fit und geht gerne unter die Leute“, ergänzt Vollpension-Allrounderin Cornelia Kamleiter. Cornelia ist für Finanzielles, Rechtliches und Reporting zuständig, steht aber auch schon mal in der Küche oder hinter der Theke, wenn Not an der Frau ist.
Aus erfolgreichem Popup wurde ein permanentes Lokal
Die Idee für das Generationen-Café stammt von Mike Lanner und Moriz Piffl alias Gebrüder Stitch. Die findigen Jungunternehmer und Maßjeans-Schneider sind beide in einer ländlichen Gegend aufgewachsen und vermissten in Wien die gute Küche von Mama und Oma. In der Großstadt lernten sie zudem fast nie über Fünfzigjährige kennen. Um das zu ändern, gründeten sie 2012 einen Verein und ließen einmal pro Jahr für zwei, drei Wochen im Rahmen der Vienna Design Week ältere Damen backen. 2014 ging das Projekt gemeinsam mit Wientourismus auf Österreich Tour und erhielt dabei soviel positiven Zuspruch, dass aus dem Popup eine permanente Einrichtung wurde. Zum Verein kam eine GmbH hinzu, und seit Juni 2015 rühren die Omas und Opas ihre Kuchenteige in der gemütlich-kitschigen Vollpension.
Unkonventionelle Startups locken die Medien an
„Wir möchten beweisen, dass ein Unternehmen auch funktionieren kann, wenn man nicht nur gewinnmaximierend arbeitet, sondern auch sozialen Mehrwert schafft“, sagt Cornelia. Sie spielt dabei auch auf die Tatsache an, dass ein paar Vollzeitkräfte in Summe günstiger wären als viele geringfügige Mitarbeiter. Die Oma- und Opa-Strategie brachte dem Lokal andererseits viel Aufmerksamkeit. Dank dem außergewöhnlichen Konzept berichteten die Medien vom Start weg ausgiebig über die Vollpension, so wie meistens, wenn eine originelle und neue Idee umgesetzt wird.
Zudem scheint sich die ungewöhnliche Altersstruktur des Betriebes sehr positiv auf den Teamgeist auszuwirken, denn sowohl Cornelia als auch Oma Christine schwärmen von dem tollen Arbeitsklima. „Ich habe einen 43-jährigen Sohn, aber die jungen Leute hier sind irgendwie auch wie meine Kinder“ sagt Letztere. Und Cornelia erzählt, wie sehr Jung und Alt an einem Strang ziehen würden. „Jeder bringt sich ein, jeder will, dass die Vollpension wächst und gedeiht“.